German

Winterreise

1 Gute Nacht

Fremd bin ich eingezogen,  
Fremd zieh' ich wieder aus.   
Der Mai war mir gewogen  
Mit manchem Blumenstrauß.  
Das Mädchen sprach von Liebe,  
Die Mutter gar von Eh' -  
Nun ist die Welt so trübe,  
Der Weg gehüllt in Schnee.   
 
Ich kann zu meiner Reisen  
Nicht wählen mit der Zeit,   
Muß selbst den Weg mir weisen   
In dieser Dunkelheit.   
Es zieht ein Mondenschatten   
Als mein Gefährte mit,   
Und auf den weißen Matten   
Such' ich des Wildes Tritt.   
 
Was soll ich länger weilen,   
Bis man mich trieb' hinaus?   
Laß irre Hunde heulen  
Vor ihres Herren Haus;   
Die Liebe liebt das Wandern -   
Gott hat sie so gemacht -  
Von Einem zu dem Andern -   
Fein Liebchen, Gute Nacht!   
 
Will dich im Traum nicht stören,  
Wär' schad' um deine Ruh',   
Sollst meinen Tritt nicht hören -  
Sacht, sacht die Türe zu!   
Schreib' im Vorübergehen   
Ans Tor dir: "Gute Nacht!"  
Damit du mögest sehen,  
An dich hab' ich gedacht.

7  Auf dem Fluße

Der du so lustig rauschtest,  
Du heller, wilder Fluß,  
Wie still bist du geworden,   
Gibst keinen Scheidegruß.   
 
Mit harter, starrer Rinde  
Hast du dich überdeckt,  
Liegst kalt und unbeweglich   
Im Sande ausgestreckt.  
 
In deine Decke grab' ich  
Mit einem spitzen Stein   
Den Namen meiner Liebsten   
Und Stund' und Tag hinein:  
 
Den Tag des ersten Grußes,   
Den Tag, an dem ich ging;  
Um Nam' und Zahlen windet   
Sich ein zerbrochner Ring.  
 
Mein Herz, in diesem Bache   
Erkennst du nun dein Bild?   
Ob's unter seiner Rinde   
Wohl auch so reißend schwillt?

11 Frühlingstraum

Ich träumte von bunten Blumen,   
So wie sie wohl blühen im Mai;   
Ich träumte von grünen Wiesen,  
Von lustigem Vogelgeschrei.   
 
Und als die Hähne krähten,   
Da ward mein Auge wach;   
Da war es kalt und finster,  
Es schrieen die Raben vom Dach.   
 
Doch an den Fensterscheiben  
Wer malte die Blätter da?   
Ihr lacht wohl über den Träumer,   
Der Blumen im Winter sah?   
 
Ich träumte von Lieb' um Liebe,   
Von einer schönen Maid,  
Von Herzen und von Küssen,   
Von Wonne' und Seligkeit.  
 
Und als die Hähne krähten,   
Da ward mein Herze wach;  
Nun sitz' ich hier alleine  
Und denke dem Traume nach.  
 
Die Augen schließ' ich wieder,   
Noch schlägt das Herz so warm.  
Wann grünt ihr Blätter am Fenster?  
Wann halt' ich mein Liebchen im Arm?   

13 Die Post

Von der Straße her ein Posthorn klingt.
Was hat es, daß es so hoch aufspringt,
  Mein Herz?   
 
Die Post bringt keinen Brief für dich.   
Was drängst du denn so wunderlich,  
  Mein Herz?   
 
Nun ja, die Post kommt aus der Stadt,
Wo ich ein liebes Liebchen hatt',   
  Mein Herz!   
 
Willst wohl einmal hinübersehn   
Und fragen, wie es dort mag gehn,   
  Mein Herz? 

20 Der Wegweiser

Was vermeid' ich denn die Wege,  
Wo die andern Wandrer gehn,   
Suche mir versteckte Stege   
Durch verschneite Felsenhöhn?   
 
Habe ja doch nichts begangen,  
Daß ich Menschen sollte scheun -  
Welch ein törichtes Verlangen   
Treibt mich in die Wüstenei'n?  
 
Weiser stehen auf den Straßen,  
Weisen auf die Städte zu,   
Und ich wandre sonder Maßen,   
Ohne Ruh', und suche Ruh'.   
 
Einen Weiser seh' ich stehen  
Unverrückt vor meinem Blick:   
Eine Straße muß ich gehen,   
Die noch keiner ging zurück. 

21 Das Wirtshaus

Auf einen Totenacker  
Hat mich mein Weg gebracht.   
Allhier will ich einkehren,  
Hab' ich bei mir gedacht. 
 
Ihr grünen Totenkränze  
Könnt wohl die Zeichen sein,  
Die müde Wandrer laden  
Ins kühle Wirtshaus ein.  
 
Sind denn in diesem Hause   
Die Kammern all' besetzt?   
Bin matt zum Niedersinken,  
Bin tödlich schwer verletzt.  
 
O unbarmherz'ge Schenke,  
Doch weisest du mich ab?  
Nun weiter denn, nur weiter,   
Mein treuer Wanderstab! 

24 Der Leiermann

Drüben hinterm Dorfe   
Steht ein Leiermann,   
Und mit starren Fingern  
Dreht er, was er kann.  
 
Barfuß auf dem Eise  
Schwankt er hin und her,   
Und sein kleiner Teller  
Bleibt ihm immer leer.  
 
Keiner mag ihn hören,  
Keiner sieht ihn an;   
Und die Hunde knurren  
Um den alten Mann.   
 
Und er läßt es gehen  
Alles, wie es will,   
Dreht, und seine Leier   
Steht ihm nimmer still.  
 
Wunderlicher Alter!   
Soll ich mit dir gehn?  
Willst zu meinen Liedern  
Deine Leier drehn?  
 
— Wilhelm Müller
English

Winter’s Journey

1 Good Night

A stranger I came,
A stranger I depart.
The month of May favored me
With many bouquets of flowers.
The girl spoke of love,
The mother even of marriage -
Now the world is so dreary,
The road covered with snow.
 
I cannot choose the time
For my journey,
I must find my own way
In this darkness.
A shadow cast by the moon
Is my travelling companion,
And on the white fields
I seek tracks of wild animals.
 
Why should I stay longer,
Until I am driven away?
Let stray dogs howl
Before her father's house;
Love likes to wander -
For God made it so -
From one love to another -
My sweetheart, good night!
 
I wish not to disturb your dreams,
What a shame to spoil your rest,
You will not hear my footsteps -
I close the door gently.
In passing I shall write
"Good night" on your gate,
So that you may see
I have been thinking of you.

7 On the River

You who rushed along so merrily,
You clear, wild stream,
How silent you have become,
You bid me no farewell.
 
With a hard, stiff crust
You have covered yourself,
You lie cold and motionless
Stretched out upon the sand.
 
Upon your surface I engrave
With a sharp stone
The name of my beloved
And the hour and day:
 
The day of our first greeting,
The day on which I left;
Name and numbers are circled
By a broken ring.
 
My heart, in this stream
Do you recognize your own likeness?
Beneath its surface
Is there also a raging torrent?

11 Dream of Spring

I dreamt of bright flowers
Such as bloom in May;
I dreamt of green meadows
And of merry birdcalls.
 
And when the cocks crowed
My eyes opened;
It was cold and gloomy,
The ravens croaked from the rooftops.
 
But who painted those leaves
On the windowpanes?
Do you mock the dreamer
Who saw flowers in winter?
 
I dreamt of love returned,
And of a beautiful girl,
And of hearts and kisses,
Of happiness and bliss.
 
And when the cocks crowed
My heart awoke;
Now I sit here alone
And think of my dream.
 
I close my eyes again,
My heart still beats so warmly.
When will you grow green, leaves on the window?
When will I hold my love in my arms?

13 The Post

From the street sounds a posthorn,
Why do you leap so wildly,
  My heart?
 
The post brings no letter for you.
Why then do you strain so strangely,
  My heart?
 
Well yes, the post comes from the town
Where I once had a dear sweetheart,
  My heart?
 
Do you want to look out
And ask how things are there,
  My heart?

20 The Signpost

Why do I avoid the roads
That other wanderers take,
And seek hidden paths
Through snowy rocky heights?
 
I have done no wrong
That I should shun mankind -
What is this foolish desire
That drives me into the wilderness?
 
Signposts stand on the roads,
Pointing toward the towns,
And I wander ever onward,
Restless, yet seeking rest.
 
I see a signpost standing
Steadfast before my eyes:
I must follow a road
From which no one has returned.

21 The Inn

My journey has led me
To a graveyard.
Here I will stay,
I thought to myself.
 
You green funeral wreaths
Must be the signs
That invite weary travellers
Into the cool inn.
 
Are then all of the rooms
In this house taken?
I am weary, can hardly stand,
I am mortally wounded.
 
O hardhearted inn,
Do you turn me away?
On then, ever onward,
My trusty staff!

24 The Organ Grinder

Over there beyond the village
Stands an organ grinder,
And with numb fingers
He grinds as best he can.
 
Barefoot on the ice
He staggers back and forth,
And his little plate
Is always empty.
 
No one wants to hear him,
No one looks at him,
And the dogs snarl
Around the old man.
 
And he lets it go by,
Everything as it will,
He grinds away,
And his hurdy-gurdy never stops.
 
Strange old man!
Shall I go with you?
Will you play your hurdy-gurdy
To my songs?